Ernst Luis Auerbach, der Gründer der Firma, wurde 1851 in Großwaltersdorf im Erzgebirge geboren.
Er erlernte wie sein Vater das Maurerhandwerk. In den Wintermonaten ruhte auf dem Bau in der Regel die Arbeit. Witterungsbedingtes Ausfallgeld oder Arbeitslosenhilfe gab es noch nicht und so versuchte sich mancher Bauhandwerker im Erzgebirge mit der Ausführung anderer Tätigkeiten im Winter über Wasser zu halten. So ist wahrscheinlich auch der Maurer Ernst Luis Auerbach zum Drechslerhandwerk gekommen.
In den Gründerzeitjahren bestand ein großer Bedarf an gedrechselten Möbelteilen. Wer heute noch ein Vertiko aus dieser Zeit besitzt, kann sich überzeugen, wie diese Möbel mit Knöpfen, Säulen und Rosetten überladen wurden.
1877 heiratete er in Rossau bei Mittweida die aus Brockwitz bei Meißen stammende Auguste Marie Zwinscher. Im Trauschein wird der Bräutigam bereits als Holzdrechsler und Maurer genannt. 1884 kehrte das Paar in die nahegelegene Heimat zurück und kaufte für 2000 Mark ein Wohnhaus mit Grundstück in Kleinhartmannsdorf, Dorfstr. 41c (jetzt 11), dem heutigen Standort der Drechslerei Martin.
Ernst Luis Auerbach arbeitete weiter als Maurer und betrieb im Winter die Drechslerei als Nebenerwerb mit der Fertigung von Zulieferteilen für die damals umfangreiche Holzspielwarenindustrie in Eppendorf und Umgebung. Interessant ist, dass er 1886 mit einem Antrag auf Einrichtung eines Wasserkraftdrehwerkes versuchte, die Produktion zu vereinfachen. Bislang erfolgte die Produktion auf einer sogenannten Fußdrehlade. Diese Maschine funktionierte nach dem Nähmaschinenprinzip, also mit Hilfe eines Schwungrades und einer gekröpften Welle, die man mit Beinkraft betrieb. Der Antrag wurde nicht genehmigt, da die einheimischen Mühlenbesitzer befürchteten, ein zusätzliches Wasserrad könnte sich ungünstig auf den von ihnen benötigten Wasserbedarf auswirken.
Ab der Jahrhundertwende drechselte Ernst Louis Auerbach im Haupterwerb – mittlerweile war die Nachfrage gestiegen, so dass sich der ganzjährige Betrieb lohnte. In einer Auflistung aller in Kleinhartmannsdorf ansässigen Gewerbetreibenden von 1900 wird er als Holzdrechsler aufgeführt. Ernst Louis Auerbach starb 1931 in Alter von 79 Jahren.
Seine 1896 geborene Tochter Martha Maria heiratete 1922 den Drechslergesellen Richard Oswald Martin. Damit beginnt der Werdegang der Firma unter dem Namen Martin. Im ortsansässigen Holzwarenbetrieb Fischer im Goetheweg 7 erlernte Richard Martin das Drechslerhandwerk.
Nach Abschluss seiner Lehre begab sich Richard Martin auf Wanderschaft und arbeitete u.a. in Gummersbach im bergischen Land in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg. Erinnernd erzählte er oft folgende Geschichte: Während seiner Zeit in der Hansestadt wurden die Drehteile in der Drechslerei, in der er tätig war, mit Leinöl behandelt. Dabei wurde er immer neugierig von seinen Mitgesellen gefragt, ob es denn stimme, dass man das Leinöl im Erzgebirge esse. Auf die Antwort, dass es sehr wohlschmeckend und außerdem gesund und nahrhaft sei, erntete er ungläubiges Kopfschütteln. Wie viele junge Männer musste auch Richard Martin in den ersten Weltkrieg ziehen.
Schon bald geriet er in russische Gefangenschaft. In der Ukraine arbeitete er bei einem Großbauern, auch Kulak genannt. Zwangsläufig erlernte er dabei die russische Sprache. Unglücklicherweise wurde Richard Martin in den Revolutionswirren in Russland auch noch von der Roten Armee rekrutiert. Erst 1921 konnte er endlich über Rumänien in die Heimat zurückkehren.
Nach bereits erwähnter Heirat mit Martha 1922, gründete er 1923 auf dem Grundstück seines Schwiegervaters in Kleinhartmannsdorf seinen Drechslereibetrieb. Mit dem Neubau eines Werkstattgebäudes 1928 verbesserte er seine Arbeitsbedingungen und konnte so, je nach Auftragslage, noch einen Gesellen einstellen. Produziert wurden hauptsächlich Schachfiguren in verschiedenen Größen und Ausführungen. Diese wurden an Abnehmer in ganz Deutschland verschickt. Richard Martin war wie damals viele politisch interessierte Drechsler Mitglied der SPD. Tradition spielte dabei eine große Rolle, denn der Begründer sozialdemokratischen Gedankengutes, August Bebel, übte ebenfalls diesen Holzberuf aus. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam es deshalb zu Unannehmlichkeiten, die nur durch das Einschreiten besonnener Bürger nicht eskalierten.
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges musste auch Richard Martin noch einmal die Soldatenuniform anziehen und wurde zur Bewachung sowjetischer Kriegsgefangener eingesetzt. Als überzeugter Christ und wissend, dass der Krieg bald zu Ende sein würde, bemühte er sich, die Bedingungen der ihm anvertrauten Gefangenen nach Möglichkeit zu erleichtern. Dies wurde ihm auch in einem Begleitschreiben von sowjetischer Seite bestätigt, sodass er nach Kriegsende unbehelligt nach Hause zurückkehren konnte. Nach dem Zusammenbruch 1945 bekleidete er, sicher auf Grund seiner Russischkenntnisse, die Stelle des Bürgermeisters in Kleinhartmannsdorf.
Richard Martin übte das Bürgermeisteramt in Kleinhartmannsdorf sechs Monate aus und nahm danach die Gewerbetätigkeit in seiner Drechslerwerkstatt wieder auf. Obwohl in den Nachkriegsjahren die Sorge um das tägliche Brot bei den Menschen im Vordergrund stand, entwickelte sich eine ständig steigende Nachfrage nach Schachfiguren, die bis 1955 gefertigt wurden. In den späten 40er Jahren erholte sich auch langsam die einheimische Spielzeug- und Kunstgewerbeindustrie. Damit erhöhte sich der Bedarf nach Massendrehteilen aus Holz. Auch in der Martinschen Drechslerei erkannte man diesen Umstand. Sogenannte Halbautomaten, auch Kreherautomaten nach dem Hersteller der Firma Kreher in Olbernhau benannt, wurden angeschafft und mit der Produktion von Zubehör für Puppenmöbel und für kunstgewerbliche Gegenstände, wie Engelkapellen, Hasen und Tirolergruppen begonnen. Abnehmer waren unter anderem die Firma Rülke in Kleinhartmannsdorf und Forberger in Eppendorf.
Großen Anteil an dieser Entwicklung hatte Johannes Martin, der 1930 geborene gemeinsame Sohn von Martha und Richard, der seit 1951 den väterlichen Betrieb unterstützte. Johannes hatte von 1946-1949 eine Lehre als Holzspielzeugmacher an der Gewerbeschule in Grünhainichen absolviert und ging anschließend wie sein Großvater und Vater auf Wanderschaft. Johannes arbeitete zwei Jahre im Saarland, das damals noch ein eigenständiger Staat war.
1959 legte er die Meisterprüfung im Drechslerhandwerk ab und übernahm 1964 den Betrieb seines Vaters. Außer der Drehteilproduktion erfolgte jetzt auch die Herstellung von Manschettenknöpfen und Schmuckketten aus importiertem Edelholz, wie Palisander, Rosenholz, Ebenholz und anderen hochwertigen Hölzern. Ab 1970 wurden in der Werkstatt vom „Martindreher“, wie die Kleinhartmannsdorfer sagen, Räuchermänner nach eigenem Design von Johannes Martin gefertigt. Ausschlaggebend dafür war die große Nachfrage, denn wie bei fast allen Dingen hatte es die Wirtschaftspolitik der ehemaligen DDR geschafft, auch die erzgebirgische Volkskunst zu einer Mangelware zu machen.
Die „rauchenden Gesellen“ wurden nun schrittweise zum Hauptprodukt und in großen Stückzahlen hauptsächlich für den Export in das „nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ hergestellt. In Anerkennung und Würdigung seiner handwerklichen Leistungen wurde Johannes Martin 1988 zum Obermeister der Berufsgruppe (heute Innung) der Drechsler gewählt. Er stellte immer höchste Ansprüche an die Qualität der Holzbearbeitung und vermittelte dies u.a. auch seinen Lehrlingen Björn Köhler (Lehre 1984-1986, Meisterprüfung 1989), Frieder Weisflog (Lehre 1986-1988)und Maik Trübenbach (Lehre 1990-1992), die dies in ihrer Arbeit bis heute zum täglichen Maßstab der handwerklichen Verarbeitung in ihren eigenen Werkstätten machen.
Die Schwierigkeiten, die die politische Wende 1989, die Einführung der DM und die Wiedervereinigung Deutschlands auch für das erzgebirgische Handwerk mit sich brachten, konnte die Drechslerei Martin gut bewältigen. Durch die Drehteilzulieferung für die Firma Wendt und Kühn hatte die Firma in den Wendejahren eine ausreichend gesicherte Auftragslage.
1990 legte Torsten Martin, der 1955 geborene Sohn von Johannes und Leonore Martin, nach einer Lehre im väterlichen Betrieb seine Meisterprüfung ab und führte die Firma seit 01.08.1992 selbständig mit seiner Frau Rita Pfaff sowie zwei Mitarbeitern und mit dem gleichen Qualitätsanspruch wie sein Vater weiter. 1992 erfolgte ein Werkstattneubau um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und die Erweiterung und Modernisierung der Produktion zu ermöglichen.
Um die Abhängigkeit von weihnachtlichem Umsatz zu minimieren, entwickelte Torsten Martin nach eigenen Entwürfen schrittweise saisonunabhängige Figuren. So entstand die heutige Kollektion von Vögeln, Pinguinen, Hühnern, Eulen, Katzen, Osterhasen und Möwen. Daneben werden weiterhin die traditionellen Räuchermänner und Engel der Firma Martin produziert. Torsten Martin bildet auch Lehrlinge aus, damit das Handwerk seine Tradition im Erzgebirge fortsetzen kann. Dabei unterstützt er seine Lehrlinge bei der Verbindung von traditioneller Herstellung und neuen, kreativen Wegen in der handwerklichen Gestaltung.
2002 wurden die Launevögel, Pinguine und Weihnachtshühner mit dem Preis des Verbandes der erzgebirgischen Kunsthandwerker „Tradition und Form“ ausgezeichnet. 2010 erhielten unsere Möwen die gleiche Auszeichnung sowie den Publikumspreis der Freien Presse.
Unsere Auszubildende Christel Hollstein hat im gleichen Jahr Ihre Ausbildung zum Holzspielzeugmacher als 1.Bundessieger beendet.
Nach erfolgreichen Studium in der Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg, ist sie nun mit Ihrer Firma vonHollstein. erfolgreich.